Dienstag, Juli 22, 2003

BGH: Ausschluss d. Kündigungsrechts

BGH-Pressemitteilung  Nr. 162/2003
Zur Zulässigkeit des Ausschlusses des gesetzlichen Kündigungsrechts des Mieters in einem Wohnungsmietvertrag
Der unter anderem für das Wohnungsmietrecht zuständige VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hatte über die in Rechtsprechung und Literatur umstrittene Frage zu entscheiden, ob in einem Wohnungsmietvertrag der Mieter durch individual-vertragliche Vereinbarung (befristet) auf sein gesetzliches Kündigungsrecht wirksam verzichten kann.

In dem zu entscheidenden Fall hatten die Beklagten durch Vertrag vom 17. Oktober 2001 eine Wohnung gemietet. Nach dem Formularmietvertrag war der Vertrag auf unbestimmte Zeit geschlossen worden, wobei das Mietverhältnis am 1. Januar 2002 beginnen sollte. In einem handschriftlichen Zusatz zum Mietvertrag war vereinbart, daß die Mieter für die Dauer von 60 Monaten auf ihr gesetzliches Kündigungsrecht verzichteten. Nachdem die Beklagten vor Mietbeginn mitgeteilt hatten, daß sie an einer Erfüllung des Mietverhältnisses nicht mehr interessiert seien und den Mietvertrag hilfsweise kündigten, zahlten sie lediglich für den Monat Januar 2002 die vertraglich vereinbarte Miete. Seit April 2002 ist die Wohnung anderweitig vermietet.
Mit ihrer Klage haben die Kläger die Beklagten auf Mietzahlung für die Monate Februar und März 2002 in Anspruch genommen. Die Klage ist in den Vorinstanzen erfolglos geblieben.

Auf die vom Berufungsgericht zugelassene Revision hat der Bundesgerichtshof der Klage nunmehr in vollem Umfang stattgegeben. Zur Begründung hat er ausgeführt, entgegen der Ansicht des Landgerichts liege in der von den Parteien getroffenen Vereinbarung kein Verstoß gegen § 573 c Abs. 4 BGB, nach welcher Vorschrift Vereinbarungen unwirksam sind, welche zum Nachteil des Mieters von den gesetzlichen Kündigungsfristen des § 573 c Abs. 1 BGB abweichen.

Durch den vereinbarten Kündigungsverzicht würden die einzuhaltenden Kündigungsfristen nicht verändert. Die Frage, mit welcher Frist das Mietverhältnis gekündigt werden könne, stelle sich vielmehr erst, wenn dem Kündigenden ein Kündigungsrecht zustehe; dies solle aber durch einen von den Parteien vereinbarten Kündigungsverzicht für einen bestimmten Zeitraum ausgeschlossen werden.
Auch die Entstehungsgeschichte des Mietrechtsreformgesetzes spreche gegen ein Verbot von Kündigungsausschlußvereinbarungen. Nach der bis zum 31. August 2001 geltenden Rechtslage seien Vereinbarungen zulässig gewesen, durch welche das Recht zur Kündigung für eine begrenzte Zeit ausgeschlossen war. Trotz Abschaffung des bisherigen "einfachen" Zeitmietvertrages und der nunmehrigen Unzulässigkeit der Vereinbarung längerer Kündigungsfristen, als diese in § 573 c Abs. 1 BGB bestimmt seien, sei in der Begründung des Regierungsentwurfs zu § 575 BGB ausdrücklich darauf hingewiesen worden, daß die Parteien weiterhin einen unbefristeten Mietvertrag schließen und für einen vertraglich festgelegten Zeitraum auf das ordentliche Kündigungsrecht beiderseits verzichten könnten. Hieraus sei zu entnehmen, daß der Gesetzgeber den bisherigen Rechtszustand nicht habe ändern wollen und bei Vereinbarung eines Kündigungsverzichts nach Ablauf des festgelegten Zeitraums sich lediglich die nunmehr dreimonatige Kündigungsfrist des Mieters anschließen solle.
Auch der Schutzzweck des § 573 c Abs. 1 und 4 BGB gebiete keine Einschränkung der Zulässigkeit eines Kündigungsverzichts. Trotz der zur Begründung der Verkürzung der Fristen für eine Kündigung durch den Mieter angeführten "Mobilität" und "Flexibilität" habe der Gesetzgeber die Zulässigkeit der Vereinbarung eines Kündigungsverzichts anerkannt und auch in anderem Zusammenhang die Stärkung der Vertragsfreiheit betont. Darüber hinaus genieße der Mieter, selbst wenn sich der Vermieter nicht in gleicher Weise gebunden habe, im Anschluß an den Zeitraum des vereinbarten Kündigungsverzichts den vollen Mieterschutz. Im übrigen könnten, wie der vorliegende Fall zeige, durch eine Weitervermietung - auch nach Stellung eines Nachmieters durch den Mieter - die finanziellen Folgen für den Mieter im Falle einer vorzeitigen Aufgabe der Mietwohnung im Regelfall abgemildert werden.
Die Vereinbarung eines (befristeten) Kündigungsausschlusses stelle auch keinen Verstoß gegen § 575 Abs. 4 BGB dar. Durch die Neuregelung des Zeitmietvertrages solle eine automatische Beendigung des Wohnraummietverhältnisses allein durch Zeitablauf, ohne daß der Mieter Kündigungsschutz genieße, außerhalb der privilegierten Befristungsgründe verhindert werden. Die Regelung solle den Mieter vor dem Verlust der Wohnung, nicht aber vor einer längeren Bindung an den Vertrag, wie sie durch die Vereinbarung eines befristeten Kündigungsausschlusses beabsichtigt sei, schützen.

Urteil vom 22. Dezember 2003 - VIII ZR 81/03 -
Karlsruhe, den 22. Dezember 2003
Pressestelle des Bundesgerichtshofs

Freitag, Juli 18, 2003

BGH: neue u. alte Kündigungsfristen

BGH-Pressemitteilung  Nr. 76/2003
Bundesgerichtshof zur Fortgeltung von Kündigungsfristen in Wohnungsmietverträgen nach dem Inkrafttreten der Mietrechtsreform.

Der für das Wohnungsmietrecht zuständige VIII. Zivilsenat hatte heute in vier Fällen darüber zu befinden, inwieweit die gesetzliche Neuregelung der kurzen Dreimonatsfrist für die Kündigung einer Wohnung durch den Mieter für vor dem 1. September 2001 abgeschlossene Mietverträge gilt. Der Senat hat entschieden, daß in solchen Verträgen enthaltene Formularklauseln, in denen die damaligen - nach Mietdauer gestaffelten - gesetzlichen Kündigungsfristen wörtlich oder sinngemäß wiedergegeben wurden, fortgelten und nicht nach § 573 c Abs. 4 BGB unwirksam sind.

Den zugelassenen Revisionen lagen vor dem 1. September 1996 bzw. vor dem 1. September 1991 abgeschlossene Mietverträge zugrunde, die in einer Formularklausel die für eine ordentliche Kündigung damals geltenden Fristen des § 565 Abs. 2 BGB wörtlich oder sinngemäß wiederholten. Danach betrug die Kündigungsfrist für den Mieter und den Vermieter bei einer Mietdauer von bis zu fünf Jahren drei Monate, danach sechs Monate, ab dem achten Jahr neun Monate und nach zehn Jahren Mietdauer ein Jahr. Durch das am 1. September 2001 in Kraft getretene Mietrechtsreformgesetz vom 29. März 2001 (BGBl. I S. 1149) sind die gesetzlichen Fristen für die ordentliche Kündigung eines auf unbestimmte Zeit abgeschlossenen Mietvertrages geändert worden. Der an die Stelle von § 565 Abs. 2 BGB getretene neue § 573 c Abs. 1 BGB sieht für die Kündigung des Mieters unabhängig von der Mietdauer eine Frist von drei Monaten vor. Eine Vereinbarung, die davon zum Nachteil des Mieters abweicht, ist unwirksam (§ 573 c Abs. 4 BGB). Die Übergangsvorschrift des Art. 229 § 3 Abs. 10 EGBGB bestimmt dazu, daß § 573 c Abs. 4 BGB keine Anwendung findet, wenn (von § 573 c Abs. 1 BGB abweichende) Kündigungsfristen vor dem 1. September 2001 "durch Vertrag vereinbart" worden sind.

In allen vier Fällen hatten die Mieter nach Inkrafttreten der Gesetzesänderung ihre Mietverträge gekündigt und sich auf den Standpunkt gestellt, daß dadurch ihr Mietverhältnis mit Ablauf der dreimonatigen Kündigungsfrist des § 573 c Abs. 1 BGB beendet worden sei. Die Vermieter vertraten demgegenüber die Auffassung, daß die sich aus den Mietverträgen ergebende längere Kündigungsfrist fortgelte und deshalb das Mietverhältnis entsprechend länger fortbestehe.

Der VIII. Zivilsenat ist der Auffassung, die in den Mietverträgen enthaltenen Kündigungsfristen seien hier weiterhin maßgebend, weil eine vor dem 1. September 2001 getroffene vertragliche Vereinbarung über die Kündigungsfristen - im Sinne des Art. 229 § 3 Abs. 10 EGBGB - auch dann vorliege, wenn in einer Formularklausel die früheren gesetzlichen Kündigungsfristen wörtlich oder sinngemäß wiedergegeben wurden. Dies ergebe sich nicht nur aus dem Wortlaut der Übergangsvorschrift und ihrem sachlichen Zusammenhang mit § 573 c Abs. 4 BGB, sondern auch aus der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung für das Mietrechtsreformgesetz. Danach sollte mit der Übergangsvorschrift aus Gründen des Vertrauensschutzes sichergestellt werden, daß vor dem Inkrafttreten des Mietrechtsreformgesetzes wirksam vereinbarte Kündigungsfristen auch zukünftig wirksam bleiben (BT-Drucks. 14/4553, S. 77). Dazu gehört auch eine formularvertragliche Vereinbarung, in der die früheren - teilweise dispositiven - gesetzlichen Kündigungsfristen wiedergegeben wurden.
Der Rechtsausschuß des Bundestages hat der im Gesetzentwurf der Bundesregierung vorgeschlagenen Fassung der Übergangsvorschrift ohne Änderungsempfehlung zugestimmt. Seinen von der Gesetzesbegründung der Bundesregierung abweichenden Ausführungen, die in einer Formularklausel wiedergegebenen früheren gesetzlichen Kündigungsfristen sollten nur dann fortgelten, wenn sich aus dem Vertragskontext oder sonstigen Umständen bei Vertragsschluß ergebe, daß die Parteien ein besonderes Interesse an der Geltung der damaligen gesetzlichen Fristen gehabt und gerade vor diesem Hintergrund diese Regelung "ganz bewußt" getroffen hätten (BT-Drucks. 14/5663, S. 83), ist der Senat nicht gefolgt. Er hat darauf hingewiesen, daß eine solche Einschränkung des Art. 229 § 3 Abs. 10 EGBGB in der Formulierung der Übergangsvorschrift keinen Ausdruck gefunden habe. Auch lasse es die Zielsetzung der Mietrechtsreform, durch ein verständliches und transparentes Mietrecht dem Rechtsfrieden zu dienen (BT-Drucks. 14/4553, S. 1; BT-Drucks. 14/5663, S. 2), nicht als sachgerecht erscheinen, die Frist für die Kündigung eines vor dem 1. September 2001 abgeschlossenen Mietvertrages durch den Mieter von einer konfliktträchtigen und wenig aussichtsreichen Aufklärung des Ablaufs der viele Jahre zurückliegenden Vertragsverhandlungen abhängig zu machen.

Der Mieter werde auch nicht unzumutbar belastet, wenn er grundsätzlich an den vertraglich vereinbarten Kündigungsfristen festgehalten werde. Er habe in den vom Rechtsausschuß angesprochenen Härtefällen - wie schon nach bisherigem Recht - einen Anspruch auf vorzeitige Aufhebung des Mietvertrages, wenn er einen Ersatzmieter stelle.

Urteile vom 18. Juni 2003 - VIII ZR 240/02 -
- VIII ZR 324/02 -
- VIII ZR 339/02 -
- VIII ZR 355/02 -
Karlsruhe, den 18. Juni 2003
Pressestelle des Bundesgerichtshofs

Mittwoch, Juli 16, 2003

BGH: Verlust des Mietminderungsrechts

Nr. 95/2003
Bundesgerichtshof entscheidet über den Verlust des Rechtes zur Minderung der Wohnungsmiete nach neuem Mietrecht

Der u.a. für das Wohnungsmietrecht zuständige VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hatte über die Frage zu entscheiden, ob ein Mieter das Recht, die Miete wegen eines Mangels der Wohnung zu mindern, verliert, wenn er die Miete über einen längeren Zeitraum ungekürzt und vorbehaltlos weiterzahlt. In dem dem Senat vorliegenden Fall hatte der Mieter wegen einer von der Nachbarwohnung ausgehenden Lärmbelästigung seit September 1999 die Miete monatlich um 69,90 DM gemindert. Die Vermieterin war der Auffassung, der Mieter habe das Recht zur Minderung der Miete verloren, weil er erst etwa zwei Jahre nach Beginn der Störung erstmals diesen Zustand gerügt hatte. Mit ihrer Klage hat sie die bis einschließlich September 2001 aufgelaufenen Mietrückstände geltend gemacht.

Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, die auf eine Entscheidung des Reichsgerichts aus dem Jahre 1936 zurückging und bei den Instanzgerichten einhellige Zustimmung gefunden hatte, verlor der Mieter in einem solchen Fall auf Dauer das Recht zur Minderung der Miete. Allerdings war diese Fallgestaltung in den mietrechtlichen Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuches nicht geregelt; die Rechtsprechung ging deshalb davon aus, daß das Gesetz insofern eine Lücke aufweise, die durch die entsprechende Anwendung des § 539 BGB in der bis zum 31. August 2001 geltenden Fassung zu schließen sei. Nach jener Vorschrift konnte der Mieter die Miete nicht wegen eines von Anfang an vorhandenen Mangels der Mietsache herabsetzen, wenn ihm der Mangel bekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt war. Der dieser Bestimmung zugrundeliegende Gedanke war nach Ansicht des Bundesgerichtshofes auch für die Minderung wegen eines nachträglich aufgetretenen oder bekannt gewordenen Mangels sinngemäß heranzuziehen.

Der im August 2000 beschlossene Regierungsentwurf zur Reform des Mietrechts hat in der Begründung zu § 536b BGB n.F., der von geringen sprachlichen Anpassungen abgesehen im wesentlichen unverändert an die Stelle des § 539 BGB a.F. treten sollte, in bewußter Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung ausgeführt, daß in den Fällen, in denen ein Mangel - wie in dem jetzt vom Bundesgerichtshof entschiedenen Sachverhalt - erst im Laufe des Mietverhältnisses entsteht, grundsätzlich nur noch § 536c BGB n.F., der dem früheren § 545 BGB entspricht, anzuwenden ist. Danach ist der Mieter nur dann und solange an der Minderung der Miete gehindert, als er den Mangel dem Vermieter nicht anzeigt. Die der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zugrundeliegende Analogie zu § 539 BGB a.F. - jetzt § 536b BGB - sollte nach der Vorstellung des Regierungsentwurfs damit für die Zukunft erkennbar ausgeschlossen sein.

Der Bundesgerichtshof hat nunmehr entschieden, daß es auch bei laufenden Mietverhältnissen für die Zeit bis zum Inkrafttreten des neuen Mietrechts am 1. September 2001 bei der bisherigen Rechtslage verbleibt. Das bedeutet, daß die analog § 539 BGB a.F. bis zu diesem Zeitpunkt erloschenen Minderungsrechte nicht wieder aufleben. Die zum Mietrechtsreformgesetz ergangene Übergangsbestimmung des Art. 229 § 3 EGBGB läßt den Willen des Gesetzgebers erkennen, aus dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes die vor dem 1. September 2001 abgeschlossenen Sachverhalte, d.h. die bis dahin entstandenen monatlichen Mietansprüche, von dem neuen Recht unberührt zu lassen.

Für die ab dem 1. September 2001 fällig werdenden Mieten gilt dies jedoch nicht. Insoweit ist das neue Mietrecht ohne Einschränkung maßgebend. Bei der Beurteilung der Frage, ob der an die Stelle des § 539 BGB a.F. getretene § 536b BGB auf Fälle eines nachträglich aufgetretenen oder bekannt gewordenen Mangels analog anzuwenden ist, ist die in dem Regierungsentwurf enthaltene, im weiteren Gesetzgebungsverfahren nicht in Frage gestellte Begründung zu den §§ 536b, 536c BGB zu berücksichtigen. Danach ist die Annahme einer sogenannten planwidrigen Regelungslücke, die stets Voraussetzung für eine Analogie ist, ausgeschlossen. Vielmehr ist davon auszugehen, daß sich der parlamentarische Gesetzgeber nicht nur die - unverändert belassenen - Vorschriften des Regierungsentwurfs, sondern auch die dazu gegebenen Begründungen zu eigen gemacht hat. Hat der Gesetzgeber aber - wie hier - in Kenntnis der entgegenstehenden bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung eine Regelungslücke verneint und die neuen Vorschriften - ggf. korrigiert durch die Generalklausel von Treu und Glauben (§ 242 BGB) und das Bereicherungsrecht (§ 814 BGB) - ausdrücklich als ausreichend bezeichnet, bleibt für die Annahme einer planwidrigen Regelungslücke kein Raum mehr.
Im vorliegenden Fall kann dem Mieter daher entgegen der Auffassung der Vorinstanzen sein Recht zur Minderung der Miete für die Zeit ab 1. September 2001 nicht durch eine analoge Anwendung des § 536b BGB abgesprochen werden.
Daß er die Lärmbelästigung erstmals mehr als zwei Jahre nach ihrem Beginn gegenüber der Vermieterin gerügt hat, kann aber dazu führen, daß er das Minderungsrecht durch (stillschweigenden) Verzicht oder durch Verwirkung verloren hat. Der Bundesgerichtshof hat deshalb auf die Revision des beklagten Mieters das Urteil des Oberlandesgerichts aufgehoben, soweit es die Mietminderung für den Monat September 2001 betrifft, und hat die Sache insoweit zur Prüfung dieser und der weiteren Frage, ob und in welchem Umfang eine zur Minderung berechtigende Lärmbelästigung vorgelegen hat, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Im übrigen - hinsichtlich der Mietrückstände aus der Zeit vor dem 1. September 2001 - hat er die Revision zurückgewiesen.

Urteil vom 16. Juli 2003 - VIII ZR 274/02
Karlsruhe, den 16. Juli 2003

Mittwoch, Juli 09, 2003

BGH: zur Anbietpflicht bei Eigebedarf

Nr. 90/2003
Bundesgerichtshof zur sogenannten Anbietpflicht des Vermieters gegenüber einem wegen Eigenbedarfs gekündigten Mieter

Der u.a. für das Wohnungsmietrecht zuständige VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hatte in zwei Entscheidungen darüber zu befinden, inwieweit ein Vermieter, der dem Mieter wegen Eigenbedarfs kündigt, verpflichtet ist, dem Mieter eine ihm zur Verfügung stehende Wohnung, die vermietet werden soll, zur Anmietung anzubieten. Der Senat hat entschieden, dass grundsätzlich eine Anbietpflicht zu bejahen ist und dass eine unter Verstoß gegen diese Verpflichtung ausgesprochene Kündigung wegen Rechtsmissbrauchs unwirksam ist. Der Senat hat weiter ausgeführt, diese Pflicht bestehe jedoch nur, wenn die andere Wohnung bis spätestens zum Ablauf der Kündigungsfrist zur Verfügung stehe und und sich im selben Haus oder in derselben Wohnanlage befinde.

In dem dem Verfahren VIII ZR 311/02 zu Grunde liegenden Fall hatte der klagende Vermieter seiner Mieterin wegen Eigenbedarfs gekündigt. Nach Ablauf der Kündigungsfrist, aber noch vor Beendigung des Räumungsprozesses war in demselben Haus eine gleich große Wohnung frei geworden, die der Vermieter jedoch anderweitig vermietete. Die Mieterin hatte den Eigenbedarf des Klägers bestritten und im übrigen geltend gemacht, der Vermieter hätte ihr diese Wohnung als Alternative anbieten müssen.

Der Bundesgerichtshof hat zunächst ausgesprochen, dass den Vermieter grundsätzlich die Pflicht trifft, eine ihm zur Vermietung zur Verfügung stehende andere Wohnung dem Mieter anzubieten. Zwar sei bei der Kündigung einer Mietwohnung wegen Eigenbedarfs grundsätzlich die Entscheidung des Vermieters, wie er eine ihm gehörende Wohnung nutzen wolle, zu respektieren. Es könne jedoch nicht unberücksichtigt bleiben, dass die Kündigung wegen Eigenbedarfs gegen einen Mieter einen erheblichen Eingriff in dessen Lebensumstände darstelle und deshalb so schonend wie möglich ausgeübt werden müsse. Der Vermieter sei daher gehalten, diesen Eingriff abzumildern, soweit ihm dies möglich sei. Der VIII. Zivilsenat hat damit die von den Instanzgerichten bereits seit längerem praktizierte Rechtsprechung zur Anbietpflicht des Vermieters bestätigt.

Wie der Senat weiter ausgeführt hat, besteht die Verpflichtung des Vermieters nur, wenn die Alternativwohnung spätestens bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zur Vermietung zur Verfügung steht. Anderenfalls werde nämlich derjenige Mieter privilegiert, der sich nach Ablauf der Kündigungsfrist unberechtigt weiterhin in der Wohnung aufhalte. Er würde ermutigt, einen Rechtsstreit allein in der Hoffnung zu führen, dass im Verlaufe des Verfahrens eine andere Wohnung im selben Haus frei werde. Durch eine nach Vertragsende fortgeltende Anbietpflicht werde der Vermieter in seinem durch Art. 14 GG geschützten Eigentumsrecht unverhältnismäßig eingeschränkt.
Soweit sich im Räumungsverfahren herausstelle, dass ein Eigenbedarf tatsächlich nicht vorliege, bedürfe es zum Schutze des Mieters einer Anbietpflicht nicht, weil die vom Vermieter ausgesprochene Kündigung dann ohnehin unwirksam sei.
In dem Fall, der dem Verfahren VIII ZR 276/02 zu Grunde lag, hatte der Kläger eine Kündigung wegen Eigenbedarfs ausgesprochen, um seinem Bruder und dessen sechsköpfiger Familie zu ermöglichen, in die Wohnung der beklagten Mieter einzuziehen. Das Berufungsgericht hat die Kündigung für rechtsmissbräuchlich gehalten, weil der Kläger seinen Bruder nicht veranlasst hatte, eine diesem gehörende, mehrere Kilometer entfernt gelegene Wohnung den Mietern anzubieten. Diese Wohnung war im Zeitpunkt der Kündigung vermietet, wurde aber später frei. Der Bruder des Klägers vermietete sie weiter, ohne sie den Beklagten angeboten zu haben.

Der Senat hat zunächst entschieden, dass der Vermieter grundsätzlich auch für seine Geschwister Eigenbedarf geltend machen könne. Bei Geschwistern bestehe noch ein so enges Verwandtschaftsverhältnis, dass es eines zusätzlichen, einschränkenden Tatbestandsmerkmals, wie etwa einer engen sozialen Bindung zum Vermieter, nicht bedürfe.

Die grundsätzlich bestehende Anbietpflicht des Vermieters hat der Senat im konkreten Fall jedoch deshalb verneint, weil sich die Wohnungen nicht in der erforderlichen räumlichen Nähe zueinander befanden. Es sei nicht Sache des Vermieters, dem Mieter jede andere, ihm zur Verfügung stehende Wohnung zur Nutzung anzubieten. Seine Verpflichtung beschränke sich vielmehr auf eine im selben Haus oder in derselben Wohnanlage befindliche Wohnung, um dem Mieter zu ermöglichen, eine Wohnung in seiner vertrauten Umgebung zu beziehen.

Da in beiden Fällen die tatsächlichen Voraussetzungen für das Bestehen von Eigenbedarf des Vermieters nicht hinreichend geklärt waren, hat der Senat die Verfahren zwecks Nachholung der erforderlichen Feststellungen an die Berufungsgerichte zurückverwiesen.

Urteile vom 9. Juli 2003 – VIII ZR 311/02 und VIII ZR 276/02
Karlsruhe, den 9. Juli 2003
Pressestelle des Bundesgerichtshofs